Montag, 6. April 2015

Rezension: Auf die Hand von Stevan Paul

Seit bald 30 Jahren habe ich den Kochbuchmarkt im Blick. Mein Eindruck ist, dass früher ein großer Anteil der Neuerscheinungen sich um Länderküchen drehte. Da durfte es gerne exotisch werden, aber auch die Küchen Europas erfreuten sich großer Beliebtheit. Heute, wo die italienische Küche schon fast deutsche Hausmannskost ist und auch Vietnam oder Marokko längst in unserer Alltagsküche angekommen sind, geht es eher um Autoren- und Themen-Kochbücher. Die Herausforderung liegt darin Trends frühzeitig zu erkennen und in ein attraktives Kochbuch umzusetzen. 

Den richtigen Riecher hatte Stevan Paul mit seinem Buch "Auf die Hand" - Sandwiches, Burger & Toasts, Fingerfood & Abendbrote. Seit dem Erscheinen vor ein paar Monaten hat diese Bewegung noch mehr Fahrt aufgenommen. Woher kommt das? Auch wenn uns das Fernsehen mit ständig neuen Kochformaten vorgaukelt, dass daheim wieder mehr gekocht wird, so ist in der Realität das Angebot der Systemgastronomie stark gestiegen. Parallel dazu gibt es auch ein gestiegenes Interesse an hochwertiger und gesunder Nahrung, selbst wenn es schnell gehen muss. Burger und Co. erfreuen sich immer größerer Beliebtheit und trotzdem klagt der Branchenprimus McDonalds über Umsatzrückgang. Hier haben sich kleine Burger-Anbieter etabliert. Zwei "Keimzellen" für die neue Lust an schnellem Essen mit Genuss sehe ich in Berlin und Nürnberg. Der Streetfood Thursday in der Markthalle 9 ist jeden Donnerstag überfüllt und die unterschiedlichen Essensstände sind in immer kürzerer Zeit leer gegessen. In Nürnberg dagegen steht die Wiege der Foodtruck-Bewegung, die mittlerweile auch nach München und andere Städte übergeschwappt ist. Bei Veranstaltungen werden regelmäßig die Besucherrekorde gebrochen und die Schlangen vor den Trucks scheinen endlos zu sein. Folgerichtig werden in der nächsten Zeit immer mehr Kochbücher dazu erscheinen. Wie gesagt, Stevan Paul ist mit "Auf die Hand" am Puls der Zeit.

Stevan Paul hat in seiner Heimatstadt Ravensburg eine Kochlehre bei Albert Bouley absolviert. Danach folgten einige Berufsjahre als Koch in der Spitzen-Gastronomie, u.a. auch bei Otto Koch. Über ein Praktikum beim Magazin "Essen & Trinken" konnte er sich als Foodstylist etablieren. Seit dieser Zeit lebt und arbeitet er in Hamburg. Es blieb nicht beim reinen Foodstyling, da er seine Liebe zum Schreiben entdeckte. Er arbeitete als freier Autor für kulinarische Texte und begann seinen Foodblog NutriCulinary. Es folgten die Kochbücher "Schneller Teller" und "Deutschland vegetarisch". Sein literarisches Talent stellte er mit den beiden Erzählbänden "Schlaraffenland" und "Monsieur, der Hummer und ich" unter Beweis.




Schön finde ich, dass der Brandstätter Verlag für seine Kochbücher immer das Format beibehält. Also haben wir auch hier ein Buch, das etwas kleiner ist als DIN A 4. Und weil es ein "running gag" muss ich erwähnen, dass es KEIN Lesebändchen hat. Dafür ist es ganz schön gehaltvoll, man kann es einen "dicken Wälzer" nennen. Das Cover lässt schon erahnen, was uns erwartet: eine pralle, bunte kulinarische Welt, eingefangen in stimmungsvollen Bildern der Fotografin Daniela Haug.

Das Inhaltsverzeichnis ist gestaltet wie diese Papiersets in Restaurants, auf denen die Speisekarte gedruckt ist. Passt also perfekt zum Thema und damit wir keine Zeit verlieren ist es auch ganz vorne - sogar die Rückseite des Covers ist einbezogen. Konsequenterweise ist die Rückseite auch so gestaltet. Das ist praktisch, egal ob man das Buch vorne oder hinten aufschlägt, man startet immer mit dem Inhaltsverzeichenis.

In jedem Kapitel gibt Rezepte, Stories und Reportagen. Die Rezepte sind in der bewährten Darstellung mit dem Rezeptbild auf der einen Seite und der Zutatenliste (incl. Personenangabe) mit Zubereitungsanleitung und einer kleinen Einführung zum Gericht auf der gegenüber liegenden Seite. In den Stories erfahren wir auf unterhaltsame Weise Interessantes zur Geschichte des Streetfoods und Klassiker der schnellen Verpflegung. In den Reportagen werden spannende Anbieter von Streetfood in Wort und Bild vorgestellt. Ein Rezept aus ihrem Repertoire haben sie auch noch beigesteuert.

Der Untertitel des Buchs verweist bereits auf einige Kapitel im Buch. Bei den "Klassikern" finden wir so bekannte Gerichte wie Crostini und Fish & Chips, aber auch das "hippe" Co Co Banh Mi. Das Kapitel "Burger" widmet sich den unterschiedlichsten Möglichkeiten einen Burger zu belegen. Vom Fleischpattie über Halloumi bis zu Garnelen ist alles dabei. Interessant sind auch die unterschiedlichsten Varianten der Kategorien "Toasts & Sandwiches" und "Hot Dogs". Es gibt Rezepte für jede kulinarische Vorliebe. Gut gefällt mir, dass auch das ur-deutschen Abendbrot ein eigenes Kapitel bekommen hat. Bei "Abendbrot & Imbiss" sind auch die bayerische Breze und die Ochsensemmel dabei. Nach meinem Geschmack hätte das Kapitel ja Abendbrot & Brotzeit heißen müssen. Von den Burgern kennen wir es, dass da meistens noch Pommes dazu kommen. Die Beilagen, Salate und Saucen finden sich bei "Drüber, Drunter, Drauf, Dazu".

Im alphabetischen Register am Schluß lässt sich nach Rezepten, Zutaten, Fachbegriffen und Namen suchen.

Die Auswahl der Rezepte für den Praxistest ist mir diesmal schwer gefallen. Kulinarisch angesprochen hat mich sehr viel, aber ich muss parallel immer eine glutenfreie Variante anbieten. Und in diesem Fall ist das fast unmöglich, da fast immer etwas aus Weizenmehl dabei war. So entschied ich mich für das Dominobrot. Das esse ich sehr gerne und ich liebe Austern. Herr bushcook darf das Dominobrot nicht essen und Austern mag es nicht. Also gab es eine Portion für mich alleine und die nächsten drei Tage Dominobrot zum Frühstück. Glücklicherweise hat es sehr gut geschmeckt.

Um dem Thema des Buchs gerecht zu werden, wollte ich unbedingt einen Burger mit selbst gebackenen Buns machen. Für Herrn bushcook besorgte ich einen glutenfreien. Das hatte zur Folge, dass ich die restlichen Buns eingefroren hatte und, ihr ahnt es schon, gaaanz viel Frühstück... Den Pattie konnte ich für ihn nicht abwandeln und habe für mich nur die Hälfte gemacht. Er bekam die Garnelen einfach so gebraten und alle anderen Zutaten des Burgers. Deshalb habe ich es mir beim dritten Rezept etwas leichter gemacht und mich für den japanischen Gurkensalat als Beilage entschieden.

Schnelles Essen heißt nicht zwangsläufig schnelles Kochen. Die Rezepte in diesem Buch sind richtige Rezepte mit frischen Zutaten und teilweise ganz schön aufwändiger Zubereitung. Die Qualität der Rezepte überzeugt sowohl bei der Gelingsicherheit, als auch im Geschmack.


Dominobrote


Garnelen-Burger mit gebratenem Speck, japanischem Gurkensalat und Pommes Allumettes














Fazit:
Stevan Paul ist ein Standardwerk zum Thema Streetfood gelungen. Die umfassende Betrachtung der Szene, die sorgsam recherchierten Berichte und die gelungenen Rezepte machen "Auf die Hand" zu einem must-have für die Liebhaber dieser Küche. Auch die wunderbaren Fotos von Daniela Haug tragen dazu bei, dass man es gerne in die Hand nimmt und darin schmökert. So ist es mehr als ein Kochbuch. Es ist auch ein Lese- und Schmökerbuch.


Die Präsentation des Buchs in München fiel mit dem 5. Geburtstag der Kochgarage zusammen. So gab es ein schönes Fest mit den Originalrezepten aus dem Buch, gekocht von Graciela und ihrem Team. Ein paar Impressionen von diesem besonderen Abend habe ich Euch mitgebracht.




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